Alte Schätzchen.

Liebes Frl. Ideal,

im Zuge meiner jährlichen Aufräumarbeiten im Kleiderschrank trenne ich mich von einigen alten Schätzchen. Teils, weil sie ihr Kleiderleben wirklich abgeschlossen haben, teils, weil ich mit Sicherheit nie wieder hineinpassen werde – eine Figur wie eine tanzende 15jährige ist mit irgendwann 50 für mich nicht erstrebenswert -, teils, weil die Sachen mit Geschichte jetzt Geschichte sein dürfen.

Teil 1:  1980-87. Der rückenfreie Strickpulli.
Als Teenager war ich wohl innerlich ein bisschen verrückt. Während sich der Mainstream in weite Sweatshirts, enge Steghosen, T-Shirt über Poloshirt (natürlich mit Krokodil) und unifarbene Minis hüllte, besaß ich für die Schule Karottenjeans und unauffälligste Pullover – und nähte mir für die Freizeit durch fleißiges Treten auf der alten Phoenix 283 einen Tellerrock weiß mit roten Punkten und einen karierten  mit hochgesteckten Zipfeln.

Dann kam die Stricksaison. In der Schule tauschte ich die unter dem Tisch gelesenen Abenteuerromane gegen hoch gehaltenes Strickzeug aus. Ich strickte einen lilafarbenen riesigen Patentmusterpulli, der dank des günstigen Materials rasch die Fäden hängen ließ. Dann einen türkisfarbenen mit einer Schulter frei und einem halben Arm. Aus einer schweren Baumwolle – entweder ich fror links oder hatte es zu warm rechts. Aber todschick… Und dann aus einer Strickzeitschrift aus den frühen 70ern dieses rücken- und bauchfreie Schätzchen; Mit Stehkragen, also total praktisch im Hochsommer. Das Garn war hochwertig (Seide!), mit den Knötchen auch topmodisch – trotzdem günstig, wegen der Farbe. Die stand mir leider überhaupt nicht.

Schätzchen3 Schätzchen1 Schätzchen2
(Miss Fitting musste auch ganz schön den Bauch einziehen, um dieses Schätzchen tragen zu können)

Außerdem zuppelte ich ständig am unteren Saum herum, denn für Bauchfrei und BH-los war ich doch ein wenig zu schüchtern. Keine Ahnung, warum ich das noch aufbewahrt habe. Vermutlich hat es dem MannimHaus mal gefallen. Jetzt ist es weg. Tschüß!

Stricken werd ich auch erstmal nicht mehr, Frl. Ideal.
Ihre Tily.

Me Made Mittwoch Nr.4

Heute in einem Rollkragenpullover mit A-Linien-Rock:

Der Schnitt zum Pulli ist mir sofort ins Auge gesprungen. Betonte Schultern, vorn mit Nähten modelllierter, schmaler Körper, müsste mir eigentlich stehen. Mit den langen Manschetten eine extravagante Pullover-Version. Und: Puffärmel!!! Hatte ich einmal an einem schwarzen gekauften Pullover mit Stehkragen und kleinen Schulterpolstern, und der MannimHaus mochte ihn am liebsten mit einem weißen Ballonrock und schwarzen Strumpfhosen… ich gebe zu, dass ist sehr, sehr lang her… Trotzdem, warum nicht noch einmal versuchen? Unter einem Blazer verschwinden diese Details, und schon sieht der Pulli normal aus. Oberteile fehlen mir ohnehin, also rutschte der Schnitt ganz oben auf meine Nähliste.

114-122014-M

Natürlich waren alle vorhandenen Stoffe dafür entweder viel zu dünn und flutschig, oder zu fest und dick, oder mit zuviel Muster versehen. Es dauerte daher etwas, bis ich in einem Offline-Geschäft einen wunderbaren, griffigen blauen Jersey fand. Dafür konnte ich auf den Reißverschluss im Nacken  verzichten – bei langen Haaren ohnehin ein nicht-sichtbares und hinderliches Element.

Ganz in blau war es mir dann doch zu langweilig. Passend zum Rock drehte ich die Mannschetten mit der Naht nach oben und versah sie mit einer Paspel. Natürlich mit selbstgedrehter Kordel. Eine meiner Kindheitserinnerungen ist die an meine Mutti, die im Esszimmer an der Türklinke eine dicke bunte Kordel für meine Nachtlampe dreht. Die Lampe hing bis dahin unerreichbar oben an der Wand, aber mit der Kordel wurde ich zur Herrin über das Licht im Kinderschlafzimmer.

LICHT – das gab es zum Fotografieren heute nicht, also nur schlechte Fotos. Eben handmade 😉

Blauer Rolli2 Blauer Rolli1

Schnitt: Burda 12/2014, Modell 114 in der Langversion
Nochmal? Ja
Das würde ich ändern: Rollkragen und Mannschetten kürzen, Mannschetten noch enger. Bei Elastan-Anteil auch mit Rückenteil im Stoffbruch. Mit Rückenabnähern könnte das Modell sogar verlängert und Kleidertauglich sein. (Nach nochmaligen Betrachten: Schnitt verkleinern!)
Stoff: Offline erworben, Neuss Meererhof. Qualität merken für weitere Modelle.

Und jetzt schaue ich nach den anderen Damen beim Me Made Mittwoch.

Du bist eine Gazelle.

Gefahr, Gefahr! raunt es in meinem Kopf.
Der Hang ist steil, keine Bäumen zum Festhalten des Blicks.
Gefahr, Gefahr! dröhnt es in meinem Kopf.
Der Weg wird schmaler, keine Luft mehr zum Atemholen.
Gefahr, Gefahr! schreit es in meinem Kopf.
Der Grat ist erreicht, das Nichts um mich herum.

Hier ist meine Hand, sagst Du. Halte Dich fest.Wie schön es hier ist! staune ich.
Du bist auch eine Gazelle, sagst Du.
Wir können jeden Weg gehen.

 

Dieser Text ist ein Beitrag zur ersten Rude des Projekts *.txt, bei dem Autoren 21 Tage haben, um zu einem gezogenen Wort einen Text zu verfassen. Das Wort der ersten Runde war Gratwanderung.